Der katholische Kirchenchor St. Bartholomäus zu Meggen.
(Ein Rückblick auf die ersten 50 Jahre).
Wenn man sich fragt, warum der Kirchenchor ,,erst“ im Jahre 1923 gegründet wurde und nicht bereits wie der Meggener Männergesangverein im Jahre 1869, so wird man sich sagen müssen, daß zum
richtigen Wirken eines Kirchenchores ja auch eine Kirche gehört, und eben diese war bis zum Jahre 1895 in Meggen nicht vorhanden. Es bestand lediglich eine Kapelle, welche im jetzigen Pfarrgarten
stand und 1762 erbaut wurde. Diese Kapelle ermutigte also nicht zur Bildung eines Kirchenchores. Anders war es im Jahre 1895 bzw. 1896, in welchem die Meggener Pfarrkirche St. Bartholomäus erbaut
wurde. Aber in jenen Jahren scheint es an geeigneten oder interessierten Personen gefehlt zu haben, zur Verschönerung der Gottesdienste einen Chor aufzubauen.
Am 1. Oktober 1912 wurde der aus Belecke/Mähne gebürtige Lehrer Joseph Hoppe zum Rektor in Meggen ernannt. Rektor Hoppe hatte am 16. März 1899 die Organistenprüfung in Büren abgelegt und war
daher in der Lage, von seinem Vorgänger, Lehrer Wengeler, das Organistenamt an unserer Pfarrkirche nebenamtlich zu übernehmen. Rektor Joseph Hoppe muß auch umgehend an die Bildung eines
Kinderchores gegangen sein, denn nach den Aussagen alter Meggener Bürger existierte unter der Leitung von Rektor Hoppe im Jahre 1912 bereits ein Schulchor, welcher sich auch im Gottesdienst
betätigte. Bereits 1914 muß diese Tätigkeit aber wieder zum Erliegen gekommen sein, denn am 16. November 1914 wurde Herr Hoppe zum Kriegsdienst eingezogen, und es ist nicht bekannt, daß ein
Nachfolger den Schulchor weitergeleitet hat.
Bereits am 22. November 1915 wurde Rektor Hoppe aber von der Regierung reklamiert und zum Schuldienst wieder nach Meggen entlassen, wo er auch gleich wieder das Organistenamt übernahm. Im Jahre
1919 bestand in unserer Kirchengemeinde ein Jungfrauenverein, welcher von dem damaligen Meggener Vikar Menke ins Leben gerufen worden war. Aus den Mitgliedern dieser Jungfrauengemeinschaft
gründete Rektor Hoppe 1919 einen dreistimmigen Mädchenchor, welcher bei besonderen Anlässen in der Kirche auftrat, z. B. an Weihnachten, Ostern, Pfingsten, Weißen Sonntag sowie bei Hochzeiten und
Beerdigungen.
Zunächst fanden aber noch keine regelmäßigen Proben statt, so daß man das Jahr 1919 wohl auch nicht als Gründung eines ,,richtigen" Kirchenchores bezeichnen kann. Auch waren bis zum Jahre 1923
keine Männer in dieser Singgemeinschaft als ständige Mitglieder, sondern der Mädchenchor machte im Bedarfsfalle dann stets eine ,,Anleihe" beim Meggener Männergesangverein.
Die Damen der ,,ersten Stunde" waren:
1. Änne llhoff
2. Paula Stipp
3. Maria Hoheisel
4. Maria Hanses
5. Agnes Schlechter
6. Änne Silberberg
7. Emma Lenze
8. Maria Droste
9. Maria Soemer
10. Maria Kühn
11. Franziska Guntermann
12. Walburga Baier
13. Hedwig Hennecke
14. Franziska Faust
15. Maria Tillmann
16. Maria Walkenbach
17. Theresia Dröge
18. Maria Schneider
19. Johanna Stühn
20. Franziska Schmidt
21. Elisabeth Wurm
22. Martha Wurm
23. Josepha Neuhäuser
24. Toni Werth
25. Maria Bille
26. Hedwig Reuter
27. Maria Schrade
28. Maria Grundhoft
29. Maria Döpp
30. Elisabeth Döpp
31. Helene Schmidt
32. Frau Mönninghoff
33. Frau Rüsing
34. Olga Kiner
35. Maria Kiner
und andere mehr
1923 schlug nun endlich die Geburtsstunde unseres heutigen Kirchenchores, weil man sich unter der Stabführung von Rektor Hoppe entschloß, wöchentlich regelmäßig Chorproben in der Volksschule nach
dem Hochamt abzuhalten. Dazu beschloß man, den bisher reinen Damenchor durch Männerstimmen zu vergrößern und zu vervollständigen. Von den Herren, welche sich ab 1923 zum Kirchenchor gesellten,
konnten bislang folgende festgestellt werden:
Johann Inninger, Heinrich und Anton Ülhoft, Rudolf Lenze, Joseph Pinkelmann und dessen Bruder, Walter Wienand, Karl Sömer, Heinrich Gierse, Karl Dröge, Albert Stühn, Paul Silberberg, Johann
Pfeil, Franz Falke, Franz Römer, Paul Mies und andere mehr. Interessant ist, daß die Damen nur so lange Mitglied im Chor sein durften, wie sie nicht verheiratet waren
Höhepunkte des Kirchenchores waren u. a. die Einführung von Dechant Joseph Clute, welcher im Jahre 1923 von Maumke als Pfarrer nach Meggen kam. Auch bei seinem 25jährigen Priesterjubiläum am 22.
März 1932 hatte der Kirchenchor einen großen Tag. Beim Festhochamt wurden unter anderem vorgetragen ,,Jauchzet dem Herrn alle Welt" und ,,Lobet den Herrn" sowie die ,,Loreto"-Messe von Goller,
begleitet von Orgel und Posaunen. Weitere besondere Festtage waren die Primiz von Franz Noeker im April 1935 und von Pater Paul Hoppe im März 1936.
Unterstützt wurde die Arbeit des Kirchenchors auch von den in Meggen tätigen Geistlichen, wie Kaplan Menke und Dechant Clute.
Die ,,Seele" des Chores aber war der Dirigent Rektor Hoppe! Seiner Tatkraft und seinem Können ist das Werden und Fortbestehen des Chores in erster Linie zuzuschreiben, und er hat es nach Meinung
des Chronisten wohl verdient, daß der Kirchenchor seiner dankbar gedenkt und daß an dieser Stelle sein Lebenslauf kurz vorgestellt wird.
Rektor Joseph Hoppe, geboren am 18. März 1877 zu Belecke a. d. Mähne, besuchte zwecks Ausbildung zum Lehrer die Präparandia in Hagen-Eilpe und das Lehrerseminar in Büren, wo er auch am 16. März
1899 die erste Lehrerprüfung ablegte, mit welcher zu damaliger Zeit auch gleich die Organistenprüfung verbunden war.
Nachdem er in Herne und Wimbern b. Iserlohn auftragsweise beschäftigt war, diente er in der Kaiserlichen Armee vom 16.8. bis 24.10.1899 beim lnf.-Reg. 158 zu Paderborn. Danach wurde er wieder
vorübergehend in Wenighausen, Andreasberg, Lichtringhausen und Heggen beschäftigt und legte 1902 in Büren die zweite Lehrerprüfung ab.
Anno 1904 wurde er dann nach Wehrstapel versetzt, und seit dem 1. 10. 1912 verwaltete er die Hauptlehrer- bzw. Rektorstelle in Meggen. Wie sein Vorgänger, Lehrer Wengeler, wurde er auch Organist
im Nebenamte an unserer Pfarrkirche.
Am 16. November 1914 wurde er zu den Waffen gerufen, jedoch von der Regierung schon am 22. November 1915 reklamiert, so daß er Ende 1915 wieder in Meggen die Rektorstelle verwaltete.
Es sei noch bemerkt, daß Rektor Hoppe während seiner Abwesenheit von Lehrer Karl Hanfland aus Oberelspe vertreten wurde.
Rektor Hoppe war Zeit seines Wirkens hier in Meggen bei allen Bürgern eine angesehene Persönlichkeit. So nimmt es nicht wunder, daß er auch im öffentlichen Leben in unserem Ort mit manchen
Ehrenämtern betraut wurde. So war er z. B. nach dem Besitzer der Christinenhütte, Gewerke Karl Löhr, von 1934-1939 Vorsitzender des Aufsichtsrates der Spar- und Darlehnskasse. Bis 1933 war er
jahrelang auch Mitglied der Gemeindevertretung und des Schulvorstandes.
Am 1. April 1939 wurde er nach 28jährigem Wirken in Meggen in den Ruhestand versetzt und zog mit seiner Familie nach Rüthen. Dort war ihm leider nur noch ein kurzer Lebensabend beschieden, denn
schon am 11. März 1941 verstarb er nach schwerer Krankheit im Alter von 64 Jahren.
Ein nettes Geschichtchen von Rektor Hoppe soll diesen kurzen Bericht über sein Wirken bei uns als Rektor und Chorleiter beschließen: Nach einer offenbar besonders ausgiebigen Sitzung im
,,Landtag", denn er war natürlich M. d. L.!, fand er sich zu später Stunde mit der entsprechenden Bettschwere wieder zu Hause ein. Wie er nun das Schlafzimmer betrat, saß ,,seine bessere Hälfte"
kerzengerade im Bett und sagte zu ihm: ,,Nun bin ich aber sprachlos!", worauf er erleichtert entgegnete: ,,Gott sei Dank!"
Der Fortgang von Chorleiter Hoppe hätte natürlich leicht das Ende des Meggener Kirchenchores bedeuten können, doch war man in der glücklichen Lage, in dem in Meggen wirkenden Lehrer Johannes
Dosch einen tüchtigen Organisten und Dirigenten zu besitzen, welcher sich dann auch bereit erklärte, den Kirchenchor zu übernehmen. Johannes Dosch stammte aus Westpreußen, wo er am 19. Juni 1888
in Jastrow geboren wurde. Mit 20 Jahren bestand er am 19. August 1908 sowohl die erste Lehrerprüfung als auch die Organistenprüfung. Vom 1. Oktober 1908 bis zum 20. Januar 1920 war er in Zalesi,
Krs. Konitz, angestellt, danach bei der Fürsorgestelle für Flüchtlingskinder in Berlin. Ab 1. Januar 1921 erhielt er dann seine endgültige Anstellung in Meggen.
Musikalisch betätigte sich Chorleiter Johannes Dosch ab 1. 4. 1939, nachdem ihm von den Nationalsozialisten ,,bis auf Widerruf" am 17. März 1939 die Erlaubnis erteilt worden war, als Lehrer
nebenamtlich den Organistendienst versehen ,,zu dürfen". Die Arbeit im Kirchenchor konnte nun zunächst nahtlos fortgesetzt werden. Der erste öffentliche Auftritt unter Johannes Dosch fand
anläßlich der Primizfeier von Pater Franz Schröder im März 1939 in der Pfarrkirche statt. Bereits im April 1939 hatte der Chor einen weiteren Auftritt bei der Primiz von Pater Paul Halbe. Ein
bedeutendes Ereignis für den Chor war auch der Empfang des Bischofs, zu dessen Ehren lateinische Gesänge im Hochamt erklangen.
Das Ausbrechen des 2. Weltkrieges brachte die regelmäßige Arbeit des Kirchenchores bald zum Erliegen. Die Anzahl der aktiven Sänger nahm auch stark ab, da viele von ihnen zur Wehrmacht eingezogen
wurden. Hinzu kam, daß die Nationalsozialisten gar bald alle kirchlichen Vereine verboten und damit natürlich auch die Aktivität des Kirchenchores fast ganz zum Erliegen kam. Nur zu besonderen
Anlässen, wie Weihnachten und Ostern, traten unter Herrn Dosch in der Volksschule einige beherzte Männer und Frauen zusammen, um zu proben und dann die kirchlichen Feste durch ihren Gesang zu
verschönern.
Die kirchenfeindlichen Anordnungen der damaligen Machthaber brachten jedoch bald die Chorarbeit zum Erliegen.
Die Mädchengruppe versammelte sich aber inoffiziell des öfteren bei Frl. Grete Walkenbach, welche dann in jenen Kriegsjahren mit ihnen den Gesang pflegte.
Nachdem die ,,Tausend Jahre“ 1945 vergangen waren, aktivierte Chorleiter Johannes Dosch gleich wieder den Kirchenchor und schaffte auch neues Notenmaterial an. Die alten Noten waren in den Wirren
des Krieges vernichtet worden. Es fanden sich einige Herren in einer Schola zusammen, um die Chorarbeit weder aufzunehmen.
Lehrer Johannes Dosch leitete den Chor bis in das Jahr 1952, um ihn dann Prof. Dr. Gerhard Schulte aus Meggen, zu übergeben.
Wenn Chorleiter Johannes Dosch auch durch die Kriegsereignisse daran gehindert war, in den Jahren 1940 bis 1946 regelmäßig Proben mit dem Kirchenchor durchzuführen, so hat der Chor Herrn Johannes
Dosch und auch Frl. Grete Walkenbach dafür zu denken, daß sie die Singgemeinschaft über schwerste Zeiten der Naziherrschaft hinweg erhalten haben, so daß unmittelbar nach dem Kriege, wenn auch
nur mit wenigen Choristen, die Fortsetzung des Chores möglich war.
1952 übernahm, wie oben schon erwähnt, der Meggener Prof. Dr. Gerhard Schulte unseren Kirchenchor als Dirigent. Unter seiner Stabführung erlebte unser Chor in jeder Hinsicht einen derartigen
Aufschwung, wie man ihn wohl als äußerst selten bezeichnen darf. Das betrifft sowohl die Mitgliederzahlen als auch den Leistungsstand des Chores. Die Mitgliederzahl nahm um das Doppelte zu und
der Leistungsstand vervielfachte sich, wie man ohne Übertreibung sagen kann.
Zentrale Aufgabe eines jeden Kirchenchores ist selbstverständlich, bei der Feier der hl. Messe mit Gesang das Lob Gottes zu verkünden, ihn zu verherrlichen und zu preisen. Neben der ,,zentralen"
Aufgabe muß es dann logischerweise auch ein ,,Randgebiet" geben. Dieses außerkirchliche Betätigungsfeld findet ein Kirchenchor in der Pflege des weltlichen Volksliedes. Auf beiden Gebieten kann
unser Chor auf zahlreiche und hervorragend gelungene Konzerte zurückblicken, insbesondere im Verlauf der Jahre ab 1952.
Die Jahre 1952 bis 1964 waren vorwiegend der Kirchenmusik gewidmet. So ist überliefert, daß der Chor am Weihnachtsfest 1952 3 Gesänge aus der ,,Weihnachtsgeschichte" von Lahusen sowie 2 Choräle,
,,Vom Himmel hoch" und ,,Gelobet seist Du, Jesu Christ", von Crüger zur Aufführung brachte.
Bedeutende Auftritte im Jahre 1953 hatte der Chor am 12.7.1953 anläßlich der Primiz von Prof. Dr. Dr. Wilhelm Weber. Folgende Werke kamen zum Vortrag:
1. Missa brevis in G, von G. B. Casali; 2. Wer nur den lieben Gott läßt walten, von J. S. Bach; 3. Lobe den Herrn, von H. Sabel.
Am 30. 8. 1953 wurde zur Feier des Patronafstestes St. Bartholomäus wieder die ,,Missia brevis“ von G. B. Casali und das ,,Tantum ergo“ von Gerhard Schulte gesungen. Das letztere gelangte auch am
Dreikönigsfest zur Aufführung zusammen mit der fünfstimmigen Chorfuge aus dem Magnificat von J. S. Bach ,,Ehre und Preis sei Gott dem Herren in der Höhe". In ähnlicher Weise und mit immer größer
werdenden Repertoire setzte der Chor sein Wirken in vorwiegend kirchenmusikalischen Auftritten fort.
Am 26. 9. 1954 beteiligte sich der Chor am Cäcilienfest in Attendorn. Dieses war das erste Cäcilienfest nach dem Kriege. Es beteiligten sich die Chöre Finnentrop, Dünschede, Altenhundem,
Kirchhundem, Meggen, Oedingen, Drolshagen, Freudenberg, Olpe, Ottfingen und Attendorn. Auch das Cäcilienfest des Jahres 1955 fand am 25. September unter Mitwirkung des Meggener Kirchenchores in
Altenhundem statt.
Der folgende Beitrag zur Geschichte des Kirchengesanges in Westfalen ist geschrieben von Berthold von Bischopink.
Er wurde abgedruckt im Jubiläumsheft: 50 Jahre Katholischer Kirchenchor “St. Bartholomäus” Meggen
Anläßlich des 5Ojährigen Jubiläums des kath. Kirchenchores St. Bartholomäus in Meggen ist es von Interesse, einmal der Geschichte der Musik, vor allem der Geschichte des ein- und mehrstimmigen
Kirchengesanges in Westfalen, nachzugehen. Bisher galt die westfälische Musikgeschichte unter den Fachwissenschaftlern nicht als lohnendes Objekt intensiver Forschungstätigkeit, weil dieser
Landschaftsraum für die deutsche Musikgeschichte wenig bemerkenswerte Impulse in der Vergangenheit ausgestrahlt hat.
In früheren Jahrhunderten, hat das Singen westfälischer Menschen bisweilen eine nicht gerade schmeichelhafte Beurteilung gefunden. Schon Werner Rovelinck schrieb in seinem Buche „Zum Lobe des
alten Sachsenlandes" um 1480 bezgl. der Westfalen, daß ihre vocis melodia (Melodik ihrer Stimmen) nicht eben ausgezeichnet sei. 1722 unterstrich dieses Urteil der bedeutende Hamburger
Musikschriftsteller Johann Mattheson in seiner „Critica Musica": Die Kenner der Music sind rar oder sie halten mehr von einem Schincken und Glas Branntewein als von einer gelehrten Schrift.
Auch Ludwig Natorp klagte 1817 in einer Schrift „Über den Gesang in den Kirchen der Protestanten", daß Organisten und Kantoren fehlten und die noch bekannten Kirchenlieder „mit Geschrei oder
finsterem Brummen gesungen würden".
Ferner der um sauerländische Kultur besorgte Fritz Keßler zeigte sich um das Gesangwesen in seinem Buche „Kurze und faßliche Andeutung einiger Mängel des Kirchengesanges" Anno 1832 recht
bekümmert. 1)
Alle diese Beispiele könnten nun zu der Meinung führen, daß der Westfale ein gesangsunwilliger oder gar unmusikalischer Menschenschlag sei. Nun, wir alle wissen, daß dem nicht so ist und es gibt
Musikwissenschaftler, welche der Auffassung sind, daß gerade der Gesang der Westfalen sich wohltuend von dem in anderen deutschen Landen unterscheidet.
Der Beweis für eine starke Anteilnahme am musikalischen Leben der Vergangenheit wurde in Westfalen besonders deutlich, als man vor mehr als 100 Jahren sich anschickte, die „Heerdersche Idee" zu
verwirklichen und die „Stimmen der Völker" in Lieder zu sammeln. Und nirgendwo in Deutschland fand dieser Plan solch tatkräftige Resonanz wie in Westfalen, wo August von Haxthausen (1792—1866) es
war, der „Geistliche Lieder mit ihren ursprünglichen Weisen, gesammelt und aus mündlicher Tradition und seltenen alten Gesangbüchern" im Jahre 1850 in Paderborn veröffentlichte. An dem
Zustandekommen dieser umfangreichen Sammlung, aus welcher leider nur ein kleiner Teil veröffentlicht wurde, hatte die westfälische Dichterin Annette v. Droste-Hülshoff wesentlichen
Anteil.2)
Von westfälischen Liedersammlern aus dem Beginn unseres Jahrhunderts seien hier erwähnt der Dortmunder Karl Brügmann und Wilhelm Rittinghaus aus Halver, welche den Volksliedern im westlichen
Sauerland nachspürten. Einer der wichtigsten Liedersammler war Johannes Hatzfeld aus Benolpe (14. 4. 1882 — 5. 7. 1953.) Zusammen mit seinem Freundeskreis gab er im Auftrag der preuß.
Volksliederkommission 1928 die Sammlung „Westfälische Volkslieder mit Bildern und Weisen" heraus. Es handelte sich um eine Sammlung von 60 Liedern. Dazu erschien von Hatzfeld das Liederbuch
„Tandaradei" u. a.
Ein gewichtiges Zeugnis für die im Land der „Roten Erde" verwurzelte Sangesfreudigkeit sind und waren die vielen Männergesangvereine. Zur Vielzahl der Gesangvereine kommen noch Musikvereinigungen
verschiedenster Gattungen. Schon bevor 1816 zu Münster die „Musikalische Gesellschaft" gegründet wurde, wirkten „Dilettanten" und zwar adelige wie bürgerliche, neben oder in der Domkapelle zu
Münster bei Oratorien mit. Dabei saßen sogar der spätere Bischof von Münster, Max Graf v. Droste-Vischering und sein Bruder, Clemens August, der nachmalige Bischof von Köln im Orchester, der eine
als Geiger, der andere als Klarinettist.3)
Sehr groß ist auch in Westfalen die Zahl der Chorvereinigungen, welche den Kirchengesang besonders pflegen. Alleine im westlichen Teil der Erzdiözese Paderborn gab es im Jahre 1966 358 kath.
Kirchenchöre mit ca. 11000 aktiven Sängern und Sängerinnen! Angesichts eines so regen Musiklebens in unserer Heimat kann man wohl das Wort „Westphalia non cantat" (in Westfalen singt man nicht)
als restlos widerlegt ansehen.
Wenden wir uns nun dem Werden und Wirken des Kirchengesanges in unserer Erzdiözese und damit ja auch in unserer Pfarrei zu. In einigen Teilen Westfalens begann die Christianisierung bereits im 7.
Jhdt. Liturgische Feiern mit lat. Kirchengesang waren jedoch erst seit Ende des 8. Jhdts. möglich und das natürlich nur an wenigen Orten, an denen die Zahl der Kleriker ausreichte, die damals
allein das Lateinische beherrschten. Um das Jahr 800 erfolgte die Gründung des Bistums Paderborn, welches übrigens nicht dem Metropolitanbereich Köln, sondern der Mainzer Kirchenprovinz
angeschlossen wurde.
799 erlebte die Paderstadt ein besonders bedeutsames Ereignis, und zwar zog im Beisein Karls des Großen Papst Leo III. in die Salvator-Kirche zu Paderborn ein, umjubelt von lateinischen
Lobgesängen. Die Bischofsstadt Paderborn wurde zu einem wichtigen Brennpunkt religiösen Lebens und von dort aus verbreitete sich mit der christlichen Glaubenslehre auch lateinische Bildung und
Liturgie.4)
Auch das Kloster Corvey gewann seit dem 9. Jhdt. große Bedeutung, wie auch die Klöster Freckenhorst, Vreden und Herdecke. Diese Kult- und Kulturstätten waren wahrscheinlich schon vor der
Jahrtausendwende erfüllt vom Lobpreis lateinischer Kirchengesänge. Für unsere engere Heimat sei auch auf die große Bedeutung des Benediktinerklosters Grafschaft (seit 1072) und seine fast das
gesamte Sauerland erreichende Ausstrahlung hingewiesen. Aber auch in anderen Klöstern und Stiften unserer engeren Heimat wurde der lateinische Chorgesang gepflegt, so in Ödingen (seit 1000) und
Drolshagen (ca. 1223, vorher aber schon Stift). Attendorn, von alters her in kirchlicher Hinsicht hoch bedeutsam, bekam schon 1396 ein Chorkapitel, Kloster Ewig, ca. 1425.5)
Es ist erstaunlich, wie schnell und vielfältig in Westfalen der lateinische Chorgesang täglich angestimmt wurde. Paderborn hatte bereits eine Pflegestätte des Kirchengesanges Anno 816/17 in der
vom Bischof Badurad (815—62) gegründeten Domschule. Zur großen Blüte gelangte dieselbe unter Bischof Imad (1058—76). In der „vita Meinwerci" wird berichtet, daß an der Paderborner Domschule die
Musik als Disziplin innerhalb der sieben freien Künste ein Hauptgegenstand des von Geistlichen erteilten Unterrichts war.6) 1238 ist für Paderborn ein Domkantor bezeugt. Aber selbst in kleinen
Orten wird in geschichtlichen Berichten immer häufiger das Bestehen von Sängerchören erwähnt, deren Einrichtung häufig durch fromme Stiftungen des westf. Adels ermöglicht wurden. So bestanden
z.B. außer in Münster und Paderborn Chöre in Werl, Brilon, Lippstadt, Büren, Wiedenbrück, Menden und Neuenheerse.7) Daß der gregorianische Choral in unserer Heimat schon früh gepflegt wurde,
belegen unter anderem auch die sehr kostbaren Chorbücher. Bereits einige Jahre vor dem Trienter Konzil (1545—63) wurde in Köln im Auftrag des Domkapitels von Münster ein umfangreiches und
bedeutsames Choralwerk (Anthiphonarium, Graduale, Psalterium) gedruckt. Paderborn druckte 1602 eine „Agenda ecclesiae Paderbornensis" und im Jahre 1699 die „Offizia propria" für das
Bistum.8)
Bis zum Beginn des 17. Jhdt. war die Überlieferung des mittelalterlichen Chorals mit einer erstaunlichen Übereinstimmung erfolgt. Die Einheit der Liturgie und innerhalb derselben die Einheit der
lat. Sprache wurden bewahrt als Ausdruck des großen Gedankens von der Universalität der Kirche.
Aber schon das 17. und erst recht das 18. Jhdt. zeigten bezgl. des Chorals eine rückläufige Entwicklung. Die große Zeit des Chorals neigte sich auch hier in Westfalen ihrem Ende zu.9)
Denn der 30jährige Krieg hatte in Deutschland manche Zustände und Verhältnisse zerstört, die früher der Choralpflege günstig gewesen waren. Auch verschiedene geistige Strömungen jener Zeit
wirkten sich für den Choral nachteilig aus. Beklagenswert war das Versagen mancher Choralisten, welches einen weiteren Rückgang der gesanglichen Praxis mit sich brachte. Der allgemeine Zug zur
Verweltlichung in jener Zeit hatte zu einer weitgehenden Gleichgültigkeit in religiösen und liturgischen Dingen geführt. Es scheint, als ob man lange Zeit wenig Interesse für den lateinischen
Choral gezeigt hätte. Um so beachtlicher ist es, daß in Olpe bei den Revisionen 1802/17 der Gesang im Gottesdienst, und zwar insbesondere auch der Choral, keineswegs so darniederlag als in
anderen Orten. Träger dieser Tradition war der Kirchenchor, dem u. a. auch der Bürgermeister Gerlach und Landrat Freusberg angehörten. Ebenfalls Mitglied des Olper Kirchenchores war auch der aus
Grevenstein stammende Lehrer Noelke, welcher es unternahm, die überlieferten Weisen aufzuzeichnen, also ein Choralbuch zu schaffen. Bis 1862 fehlte nämlich jede Niederschrift und es ist nicht
geklärt, ob nie ein Choralbuch existiert hat oder ob es dem großen Stadtbrand zum Opfer gefallen ist.10)
Ein schwerer Schlag wurde dem lateinischen Choral in Kurköln, wozu bis 1821 ja das Sauerland gehörte, auch versetzt durch die Bestrebungen den lat. Choral durch deutschen Volksgesang zu ersetzen.
Der Kölner Kurfürst war der Meinung, daß der deutsche Volksgesang „Andacht und Erbauung vermehre und dank der Allgemeinverständlichkeit die Zerstreuung behindere". 11)
Gar verboten wurde der lateinische Choral für die nördlichen Teile der Diözese Paderborn durch eine bischöfliche Verordnung vom 4. 6. 1785, mit der Begründung aus Matthäus 15,8: „Dies Volk ehret
mich mit seinen Lefzen, aber ihr Herz ist weit von mir!" Zudem wurde in dieser Verordnung besonders getadelt, daß die bereits 1784 empfohlenen deutschen Meßlieder und Texte, „wo sie schon
eingeführt waren", von „Fanatikern gestöret und gänzlich unterlassen worden" seien.12)
Aber nicht nur die Kirchenbehörden wünschten den deutschen Volksgesang im Gottesdienst, auch die Regierung setzte sich dafür ein. Doch so leicht ließ sich die neue Ordnung hier in Westfalen nicht
einführen, denn amtliche Berichte aus den Jahren um 1805 melden, daß die gewünschte Neuerung in vielen Kirchen auf den Widerstand der Bevölkerung gestoßen sei und erst allmählich eingeführt
werden konnte. Beispiele dafür sind besonders die Gemeinden in Sundern, Hellefeld und Hagen, Krs. Arnsberg.13) Noch nach Ablauf eines Jahrhunderts, ja noch bis in unsere Tage hinein zeigt sich,
dass mit einer bemerkenswerten Zähigkeit schlichte Menschen dem lateinischen Kirchengesang anhingen bzw. ihm nachtrauern.
Bevor wir uns nun dem deutschen Kirchenlied zuwenden, um sein Schicksal und Weg zu verfolgen, mögen einige Bemerkungen zur mehrstimmigen Musik, welche als eine in Jahrhunderten entwickelte
zweidimensionale Kunstform dem einstimmigen lat. Choral gegenüber neuartige Möglichkeiten besaß, vorausgehen.
Im Mittelalter waren die westfälischen Dome und Kirchen, und nicht zu vergessen die Klöster, erfüllt vom Gesang der Choralisten 14) und vom Klang der Orgeln. So ist es weithin bis in das 18.
Jhdt. festzustellen. In manchen Kirchen wurde zwar auch schon mehrstimmig gesungen, doch scheint es nach den Quellen zu einer breiten Entfaltung der Polyphonie, wie sie in Frankreich und den
Niederlanden besonders stark ausgeprägt war, vor dem 17. Jhdt. in Westfalen nicht gekommen zu sein.
Die Pflege der Polyphonie und der Polychorie kam jedoch stark im 17. und 18. Jhdt., vor allem an großen Kirchen katholisch gebliebener Gegenden, in Blüte. Die Barockzeit verlangte nicht nur nach
optischer, sondern auch nach akustischer Prachtentfaltung. Im Zuge dieser Bestrebungen kamen immer mehr bei der Kirchenmusik nicht nur die Orgeln, sondern auch andere Musikinstrumente zur
Anwendung. Diese Bereicherung des kirchlichen Musiklebens verdanken wir italienischen Einflüssen. Die Vorläufer unserer heutigen Kirchenchöre kann man wohl in den mancherorts sich bildenden
Gruppen, Bruderschaften und Gebetsvereinigungen erblicken, welche ihre Andachten sowohl vocaliter wie auch instrumentaliter, also durch Chorgesang und Instrumentalmusik, ausstatteten. Auch die
sogenannten Kalandbruderschaften, gegründet als Andachts- und Singgemeinschaften, nahmen sich in unserer Heimat der Pflege mehrstimmiger Kirchenmusik an.15)
Ein Beweis für das Musikleben in. Westfalen und speziell auch im südlichen Sauerland sind die zahlreichen alten, z. T. bis ins 17. Jahrhundert reichenden Orgeln in vielen Kirchen des Kreises. Man
denke nur an die Orgelwerke in Oberhundem, Kohlhagen und Kirchveischede etc.
Die Jesuiten feierten in Paderborn schon früh musikalisch reichhaltige Gottesdienste, welche vom „Pater Praeses chori musici" geleitet wurden. Denn schon Anno 1586 liehen sie sich
Instrumentenspieler zur Begleitung der Gesänge am Fronleichnamsfeste.16) Auch von Münster, Warendorf, Essen, Osnabrück, Iburg und Werl wie auch noch mancher anderer kleinerer Städte liegen
umfassende Schilderungen über die Verwendung der Instrumentalmusik zur Begleitung des Gesangs vor. An Instrumenten sind z. B. in Werl 1 paar Pauken, 2 Trompeten, 2 Hörner und 1 Altgeige
beurkundet.
Auch in Arnsberg am kurfürstlichen Hofe, welcher sich dort häufig wochenlang aufhielt, dürfte die Musik gepflegt worden sein. Aber nicht nur am Hofe, sondern auch in den Kirchen und dem Kloster
Wedinghausen wurde eifrig musiziert. Das Kloster z.B. nahm niemanden auf, der nicht wenigstens 1 Instrument beherrschte. Es ist ferner überliefert, daß die Schüler des Klosters Schauspiele und
kleine Opern aufführten.16")
Paderborn verhielt sich zunächst beim Aufbau einer Domkapelle sehr zurückhaltend. Erst 1712 ist eine Domkapelle, welcher aber nur wenige Musiker sowie ein kleiner gemischter Chor angehörten,
nachweisbar. Diese Domkapelle, welche im Jahre 1875 noch bestand, war auch im Laufe der Zeit nicht wesentlich vergrößert worden, jedoch bestand der kleine Chor jetzt aus Berufssängern und
-Sängerinnen.17)
Gegen Ende des 19. Jhdts., in der Zeit nach 1889 wurde der Domchor neu eingerichtet und durch Knabenstimmen bereichert. Das wird eine Folge des Wirkens von Domkantor Franz Xaver Hartmann (dem
Großvater des Komponisten Engelbert Humperdinck) gewesen sein, welcher um die Jahrhundertmitte sich sehr um die Wiederbelebung des gregorianischen Chorals verdient gemacht hatte.18)
Unterstützt wurden diese Bemühungen auch durch Bischof Hubertus Simar, welcher im Jahre 1896 die dem Choral entgegengesetzten Churfürstlichen Verordnungen vom Jahre 1785 widerrief. Er mißbilligte
eine zu große Häufung deutscher Singmessen und forderte, dem liturgischen Gesang nach römischem Ritus wieder mehr Raum zu geben.19)
Diese Einstellung muß man wohl als Grundlage oder Startschuß der nun anbrechenden Blütezeit kirchenmusikalischen Lebens würdigen. Die kirchenmusikalische Praxis umfaßte nun ein Nebeneinander von
Choral, deutschem Kirchenlied und mehrstimmiger Musik. Besonders verdient um die drei tönenden Säulen kirchenmusikalischen Lebens machte sich der Paderborner Domchordirektor Hermann Müller,
welcher auch von 1910 bis 1926 Generalpräses des Allgemeinen deutschen Cäcilienvereins war. Neben Prof. Müller wirkten am Dom der Domorganist Johannes Cordes aus Altenhundem (1873—1926),
Domchordirektor Gustav Schauerte (1876—1945) und der zu Benolpe geborene Johannes Hatzfeld. Diese unermüdlichen und richtungsweisenden Männer erfüllten die weiten Hallen des Hohen Domes zu
Paderborn mit kunstvollem und vollendetem mehrstimmigen Gesang aus alter und neuer Zeit. Hier wurden anspruchsvolle Maßstäbe gesetzt, welche unserer Bischofsstadt wohl zur Ehre gereichten.20)
Domchordirektor Prof. Schauerte fand seinen Nachfolger in Prof. Hubert Göbel und dem Domorganisten Hebestreit. Unterbrochen, ja zerbrochen, wurde ihr musikalisches Wirken durch die Schrecken des
II. Weltkrieges, welcher auch am Dom schwere Schäden hinterließ. Jedoch voll Tatkraft, Eifer und Mut führte Domchordirektor Hubert Göbel den Domchor bald wieder zu überzeugenden künstlerischen
Leistungen. Diese Verdienste von Chorleiter Göbel, welcher auch als Kirchenmusik-Komponist einen guten Namen erwarb, wurde 1957 durch die Ernennung zum Professor von unserem Hochwürdigsten Herrn
Erzbischof, Dr. Lorenz Kardinal Jaeger, gewürdigt.21)
Aber nicht nur am Hohen Dom zu Paderborn, auch in den Kirchen des Krs. Olpe wurde der Chorgesang zu neuer Blüte gebracht, so in Attendorn, Olpe, Altenhundem und Meggen und an manchen anderen
Kirchen unserer Heimat. Wenden wir uns nun dem Werdegang und Gebrauch des deutschen Kirchenliedes zu.
Hier interessieren besonders Kirchenlied und Kirchengesangbuch des Erzbistums Paderborn. Schon seit der Frühzeit der Christianisierung trachteten die Christen in Westfalen nach einer Beteiligung
an der musikalischen Gestaltung der Meßfeiern. Für einige uns heute noch bekannte Kirchenlieder ist daher auch ein sehr hohes Alter nachzuweisen. Jedoch erst seit dem Ende des 16. Jhdts. wurde
häufiger üblich, die alten Kirchenlieder in der Volkssprache aufzuzeichnen, zu drucken und als Gesangbücher herauszugeben. Z. B. erschien in Dillingen 1575 ein Gesangbuch, ihm folgten 1599
Gesangbücher in Speyer, 1600 in Konstanz, 1605 in Mainz sowie 1599 auch in Köln.22)
Paderborn kam 1600 und 1602 mit einem bescheidenen Gesangbuch heraus unter dem Titel: „Alte Catholische Geistliche Kirchengesänge, auff die fürnemste Feste, auch in Processionen, Kreutz-gängen,
und Kirchenfährten: Bey der H. Meß, Predigt, in Häusern, und auff dem Feldt zu gebrauchen, sehr nützlich, sampt einem Catechismo. Durch gnedigen Consens deß Hochwürdigsten Fürsten und Herrn,
Herrn Dietherichen Bischoffen deß Stiffts Paderborn, etc. Außgangen. Gedruckt zu Paderborn, Bei Mattheo Pontano."23)
Dieses Buch berücksichtigte das schlichte, altüberlieferte Liedgut, so daß ihm eine besondere Bedeutung hinsichtlich der Bewahrung alten Liedgutes vor dem Vergessen zukommt. Dieses Buch wurde
auch zu einem richtigen Volksgesangbuch, so daß der Paderborner Raum als besonders reich an geistlichem Volksgesang bezeichnet werden kann. Enthielt doch die 4. Auflage des Gesangbuches aus dem
Jahre 1628 173 Lieder!24)
Wichtige Gesangbücher für unser Gebiet waren auch Uhlenbergs Psalter von 1582 aus Köln. Auch die Jesuiten machten sich um die Herausgabe von Gesangbüchern verdient, so 1619, 1623 und 1625. Vor
allem zu erwähnen ist aber das „Kleine Psälterlein", welches fast 200. Jahre (die 2. Auflage erschien 1638 bei Peter Brachel in Köln) das beliebteste Gesangbuch auch im kölnischen Sauerland
gewesen ist. 25)
Für die Diözese Paderborn erschienen in den späteren Jahren natürlich auch mehrere Gesangbücher, wovon einige hier noch erwähnt seien, so
1730 Blümlein der Andacht, das ist: katholisches Gebeth- und Gesangbuch. Verf.: Johannes Montanus, Bödefeld.
1749 Christkatholisches Gesangbuch, in seinen alten Gesängen verbessert, mit vielen neuen vermehrt und in diese Form gerichtet. Verf. Pfarrer Heinrich Leonardtz (1711-1763) in Stockum.
1770 Paderborner Gesangbuch.
1800 Katholisches Gesangbuch nach den alten und bekannten Melodien.
1847 Katholisches Gesangbuch nebst einem vollständigen Gebeth und Andachtsbuch. Verf.: Der Sauerländer Heinrich Bone aus Drolshagen. 26)
Für unsere nähere Heimat ist auch folgende Veröffentlichung interessant: „Allgemeines Gesangbuch nach Christkatholischem Gebrauch, in welchem die auserlesenste sowohl alte als neue in der Stadt
und Pfarre 0 l p e , und umliegenden Gegend, in löblichem Gebrauch gewesen und sämtlich aus den Köllnisch-Paderbornisch- und Mainzischen Gesangbüchern ausgezogenen Lieder verfasset seynd, von
zeitlichem Pastore zu Olpe eingericht", ferner: „Etliche auserlesene Gesänge so die Stadt Olpe bey ihrem Gottesdienst, wie auch bei dasiger Sodalität, neben andern im üblichen Gebrauch zu singen
pflegt. Welche sie 1691 zum ersten, 1704, zum zweyten, 1719 zum dritten und anjetzo zum vierten mal im Druck verfertigen lassen ... Köln 1793." 27)
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde das „Heroldsche" Gesangbuch eingeführt. Die Wahl dieses Gesangbuches, obwohl offiziell empfohlen, muß man doch als wenig glücklich bezeichnen und seine
Einführung stieß in manchen Orten auf ganz erbitterten Widerstand der Gemeinden, so z. B. in Altendorn, Drolshagen und Fredeburg. In Attendorn nahm der Streit um das Gesangbuch zwischen
Geistlichen und Gemeinden solch hitzige Formen an, daß 1812/13 u. a. beim Pfarrer und Vikar die Fenster eingeworfen wurden! Auch in Drolshagen kam es dieserhalb zu unwürdigen Zuständen. In der
Olper Gemeinde konnte das Gesangbuch auch absolut keine Beliebtheit erringen, denn das Liedgut bedeutete einen völligen Bruch mit jeder althergebrachten Liedtradition. Überdies stammte mehr als
ein Drittel der Lieder aus nichtkatholischen Quellen.28)
Dieses unzureichende Gesangbuch wurde endlich 1874 durch das Sursum corda abgelöst und dieses wiederum 1948 durch die neue Ausgabe des „Sursum corda", welche bis heute, 1973, im Gebrauch
geblieben ist. Dieses Gesangbuch ist jedoch für die Katholiken im Kreis Olpe besonders interessant, weil verschiedene Sauerländer am Entstehen des Buches maßgeblich mitgewirkt haben. Zunächst
wäre da zu nennen der 1910 als Dechant von Wünnenberg verstorbene Ferdinand Wacker aus Rhonard, der schon im Gebetsteil des ersten Sursum cordas (1874) den größten Anteil hatte. In der Neuausgabe
ist bei ca. 10 Liedern vermerkt, daß von Wacker die Weise stammt, so bei den Weihnachtsliedern: „Auf Sion, dein Verlangen", „Das ist der Tag, den Gott gemacht", sowie den Osterliedern:
„Verklärter Leib, o sei gegrüßt" und dem kräftigen „Wahrer Gott, wir glauben dir".
Von dem heimatverbundenen Priester Peter Sömer aus Elspe, der 1902 als Vikar in Büderich bei Werl verstorben ist, enthielt schon das alte Sursum corda einige Lieder aus seinem „Kirchenjahr", Im
jetztigen Sursum corda ist Sömer u. a. mit dem Text des bekannten „St. Stephan, Führer in dem Heer" vertreten.
Der Text sehr vieler Lieder des neuen Sursum corda ist entnommen dem „Cantate, kath. Gesangbuch nebst einem vollständigen Gebeths- und Andachtsbuch" des Drolshageners Heinrich B o n e. Bone hat
mit diesem Werk damals große Zustimmung gefunden, denn Kardinal v. Geißel nannte das Buch ein „epochemachendes", und andere Persönlichkeiten begrüßten es ebenfalls, „da es berufen sei, dem
Gesangbuch der Aufklärung von Herold und ähnlichen den verdienten Todesstoß zu geben".
Nicht vergessen werden darf die führende Beteiligung am Sursum corda von Dr. Johannes Hatzfeld aus Benolpe, bekannt u. a. durch seine „Tandaradei" und „Susani" sowie als Schriftsteller des
Sonntagsblattes der „Dom".29)
Zum Schluß dieses Streifzuges durch die Geschichte des Kirchengesanges und des Kirchenliedes sei noch kurz des Cäcilienverbandes als Träger kirchenmusikalischer Entwicklungen in Deutschland
gedacht. Der Tiefstand katholischer Kirchenmusik im 18. und 19. Jahrhundert bewirkte, daß von Süddeutschland aus bereits die aktiven Kräfte für eine kirchenmusikalische Restauration auch im
hiesigen Raum auf den Plan getreten waren. Aus diesen Initiativen entstand eine Bewegung, die 1868 in dem von Franz Witt in Bamberg begründeten „Allgemeinen Deutschen Cäcilienverein" ihre Form
fand. Der heutige Name dieser Vereinigung zur Pflege der katholischen Kirchenmusik lautet: „Der Allgemeine Cäcilien-Verband für die Länder der deutschen Sprache", abgekürzt ACV genannt.30)
Am Wege kirchenmusikalischer Erneuerungen nach der Jahrhundertwende standen zudem zwei besondere Ereignisse: Das Motu proprio Papst Pius X. vom 22. 11. 1903, welches zur Magna Charta für die
kath. Kirchenmusik wurde, sowie die auf sehr ausgedehnten wissenschaftlichen Studien der Benediktiner von Solesmes sich gründende Wiederherstellung des traditionellen Chorals und seine offizielle
Wiedereinführung durch die Vatikanische Choralausgabe des Graduale Romanum im Jahre 1908.
Da diese Ereignisse ihre Auswirkungen auch in unserer Heimat gehabt haben und heute noch haben, sind wir mit unserer Betrachtung über die Geschichte des Kirchengesanges in der Gegenwart
angelangt. Vorliegende Ausführungen, welche selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit, wohl aber auf Richtigkeit erheben können, möchten etwas zur Verdeutlichung der
Entwicklungslinien des kath. Kirchengesanges von seinen Anfängen bis zur Gegenwart beitragen in dem Bewußtsein, daß die Vergangenheit es ist, welche nach dem Gesetz von Ursache und Wirkung die
Entwicklung in der Gegenwart mitbestimmt.
Berthold von Bischopink
Quellen zur Geschichte des Kirchengesanges in Westfalen.
1) Fritz Keßler: „Kurze und faßliche Andeutung einiger Mängel des Kirchengesanges"
2) Walter Salmen: Geschichte der Musik in Westfalen, Bd. l, Seite 136
3) Willhelm Schulte: „Westfalia non canta?", Westfälischer Heimatkalender 1963
4) Walter Salmen: Geschichte der Musik in Westfalen, Bd. l, S. 112
5) Heimatstimmen dies Kreises Olpe, 1954, Nr. 1
6) Theo Hamacher: Paderbornensis ecclesia, 1972, S. 817
7) Walter Salmen: Geschichte der Musik in Westf. Bd. l, S. 114
8) Ebd., S. 118/119
9) Ebd., S. 119
10) Heimatstimmen des Kreises Olpe, Nr. 42/1961, S. 80/81
11) Walter Salmen: Geschichte der Musik in Westfalen, Bd. l, S. 119
12) Heimatkalender des Kreises Beckum, 1965, S. 47
13) Josef Pütter: „Sauerländisches Grenzland im Wandel der Zeit", Balver Heimwacht 1965, S. 103
14) Dissertationen von Johann Aergenvoort und Heinz Kettering: Untersuchungen von mittelalterlichen westfälischen Choralhandschriften und -drucken für den Bereich Münster und Essen, und Walter
Salmen: Geschichte der Musik im Westfalen, Bd. l, S. 124
15) Walter Salmen: Geschichte der Musik in Westfalen, Bd. l, S. 124—126
16) Ebd., S. 124
16a) Geschichte Arnsbergs, S. 492
17) Walter Salmen: Geschichte der Musik in Westfalen, Bd. l, S. 126/27
18) Theo Hamacher: Paderbornensis ecciesia, 1972, S. 832
19) Ebd., S. 832
20) Ebd., S. 833
21) Ebd., S. 834
22) Walter Salmen: Geschichte der Musik in Westfalen, Bd. l, S. 130
23) Ebd. S. 130/31
24) Ebd., S. 130/31/32/33
25) „De Suerlänner", 1964, S. 46
26) „De Suerlänner", 1962, S. 77, Walter Salmen: Geschichte der Musik im Westfalen, S. 137
27) Walter Salmen: Geschichte der Musik in Westfalen, S. 137
28) Heimatstimmen des Kreises Olpe, Nr. 42, S. 82, Heimatblätter, Jg. 3, S. 56/57, „Suerlänner", 1965, S. 57
29) Heimatstimmen des Kreises Olpe, 6. Folge, 1950, S. 340/41
30) Carl Weimann: „Geschichte der Kirchenmusik". Mit besonderer Berücksichtigung der kirchenmusikalischen Restauration im 19. Jahrhundert, und Johann Overath: „Der allgemeine Cäcilienverband für
die Länder der deutschen Sprache, Gestalt und Aufgabe, Bd. 3, 1961
Ferner: Dr. Walter Salmen: Das Volkslied in Westfalen, in: „Der Raum Westfalen, Bd. IV, 1, S. 155-188
Prof. Dr. Karl Gustav Fellerer: Westfalen in der Musikgeschichte, in: „Der Raum Westfalen“, Bd. IV,1, S. 191-260